Chormusik (CD »Music for Choir«)

Kurt Schwaen: Music for Choir (Chormusik)

Vokalkompositionen

(Auszug aus dem Booklet Text)

Vokalkompositionen ziehen sich seit 1949 kontinuierlich durch alle Schaffensperioden Schwaens. Waren es in den fünfziger Jahren vorrangig Lieder und Kantaten, die von Laien gesungen werden konnten, so wird durch das Entstehen professioneller Chöre auch die Chorliteratur Schwaens technisch anspruchsvoller und inhaltlich weiter gefächert. In seinen A-cappella-Werken konnte er kompositorisch auf praktische Erfahrungen aus seiner Studienzeit zurückgreifen. Im Collegium musicum vocale unter Friedrich Blume in Berlin fesselten ihn besonders die mehrchörigen Werke der Renaissancezeit und die Chorwerke Leonhard Lechners und Giovanni Gabrielis.

Die Auswahl der Kompositionen Schwaens auf dieser CD vermittelt einen Eindruck von der Vielseitigkeit und der facettenreichen Handschrift des Komponisten. Dabei sind typische Merkmale für Schwaens Stil stets unverkennbar: die knappe und prägnante Tonsprache, die sich auch in dem durchsichtigen Notenbild widerspiegelt. Hervorzuheben ist die Gesanglichkeit der einzelnen Partien, in denen extreme Stimmlagen vermieden werden. Die Sänger sollen sich innerhalb ihres Stimmumfangs wohl fühlen und müssen keine Ton-Eskapaden fürchten. Damit erreicht Schwaen auch eine gute Textverständlichkeit, die durch seine Vorliebe für syllabische Vertonungen noch unterstützt wird. Oft ist der heimatliche Einfluß slawischer Volksmusik zu spüren, besonders im rhythmischen Bereich (wechselnde Taktarten, Polyrhythmen). Der Komponist bevorzugt kleingliedrige Melodik und freie Tonalität, die oft bitonal ist. Er knüpft harmonisch an traditionelle Hörgewohnheiten an, erweitert sie aber durch überraschende Veränderungen, durch Abweichungen vom Gewohnten.

Seine Vorliebe für Volksdichtungen hat Schwaen so formuliert:

»Nichts vertone ich lieber als Volksdichtungen. Was mich immer gefangen nimmt, ist der Bilderreichtum, die Knappheit, der logische Sprung, die Menschlichkeit. Es wird nichts verborgen, es wird nichts unklar gemacht. (...) Ich habe die originalen Melodien nicht übernommen. Und doch meinte ich, mich aus dem Bereich des Volksliedes nicht gut entfernen zu dürfen. Die Melodie mußte dominieren...«

Die Lieder des Zyklus Komm wieder zur künftgen Nacht erfassen den historischen Zeitgeist der Texte aus dem 16. Jahrhundert und sind in enger Einheit mit der oft sehr plastischen Volkssprache vertont. Einfühlsam bedient sich der Komponist dazu vertrauter Formen und Tonfolgen, die gelegentlich durch kleine Umbiegungen gewürzt werden und damit Schwaens originale Handschrift verraten. Sein Hang zur slawischen Folklore spiegelt sich in Schlafe wohl zur Nacht und in dem Zyklus Unterm Himmel unter Sternen wider. Hier stellt er unter Beweis, daß ihm neben kräftigen Tönen auch sehr zarte und differenzierte zu Gebote stehen, die den Stücken lyrische Innigkeit verleihen. Ein Zicklein ist artifizieller komponiert, der Text ist in verschiedenen Fassungen überliefert, als Lied vom Böcklein gehört es zu den jüdischen Festliedern. Die vorliegende Textfassung geht auf die 1808 gedruckte Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn von Achim von Armin und Clemens Brentano zurück.

Neben Volksdichtungen wählt Schwaen für seine Vokalwerke bevorzugt auch gegenwartsbezogene Stoffe und bezieht damit Stellung zum Tagesgeschehen. Geeignete, »musikwürdige« Texte dafür findet er u.a. bei Bertolt Brecht, Heinz Rusch, Günter Kunert, Volker Braun und Pablo Neruda. Um den Texten intensive Ausdruckskraft zu verleihen, wendet Schwaen besonders in den späteren Chorwerken auch moderne Kompositionstechniken an, benutzt diese aber sehr frei. Es geht ihm nie um eine bestimmte Technik, sondern immer um die Wirkung, die damit erzielt wird.

In dem Chorsatz Blut ist durch die Straßen regengleich geflossen (Text: Günter Kunert) verwendet er entsprechend der zwölf Silben der ersten Worte eine Zwölftonreihe als Grundlage der Komposition. Der Melodieverlauf entspricht dem Sprechmelos, der gleichmäßige Rhythmus in Viertelnoten verstärkt die Aussage, die unbestechlich, wenn auch mit poetischen Worten, einen vergangenen Tatbestand schildert. Die Stimmen werden linear geführt, jedoch nicht im strengen Sinne der Schönbergschen Reihentechnik. So erfolgen bestimmte Umstellungen in der Reihe und es entsteht ein freitonaler harmonischer Satz voller herber Schönheit.

In Gagarin (Text: Kunert) läßt er – anders als im Gedicht – den Chor mit der Wiederholung der Forderung enden: »Die darauf sind, müssen miteinander leben.« Damit verleiht der Komponist seinem Glauben an den Fortbestand der Menschheit besonderen Nachdruck. Über den in Clustern geführten Stimmen in Vokalisen singt ein kleiner rhythmisch frei geführter Frauenchor. Die Textverständlichkeit wird dadurch gewahrt, die Cluster bilden einen Klangteppich, vor denen sich die Worte plastisch abheben.

Einen Höhepunkt im Chorschaffen Schwaens stellt der Zyklus Nimm an die Weisheit nach den Sprüchen Salomonis aus der Bibel dar. Er entstand 1986 auf Wunsch von Martin Flämig, dem damaliger Leiter des weltberühmten Dresdner Kreuzchores. In diesem Werk spürt man in jeder Note den Einfallsreichtum, die Chorerfahrung und das gediegene handwerkliche Können eines reifen Meisters.

Ina Iske


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