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Kurt Schwaen – eine Biografie

Kurt Schwaen wurde 1909 in Kattowitz, dem seit 1921 polnischen Katowice, geboren, das schon damals als führendes Zentrum des Bergbaus und Hüttenwesens in Oberschlesien galt. Hier fand er in Fritz Lubrich jun., einem Schüler Max Regers, den prägenden Lehrer und Mentor, der ihn nicht nur zu souveräner Beherrschung des Klaviers führte, sondern auch mit dem Orgelspiel und den Grundlagen des Tonsatzes vertraut machte.

Von 1929 bis 1933 studierte Schwaen an den Universitäten Breslau und Berlin Musikwissenschaft, Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie. Seine weitere Entwicklung auf dem Gebiet der Komposition vollzog sich autodidaktisch. Sie erfuhr eine schmerzliche Unterbrechung durch drei Jahre Zuchthaushaft, zu der Schwaen 1935 wegen seines Engagements gegen das NS-Regime verurteilt wurde.

Nachhaltige Schaffensanstöße erhielt er nach seiner Freilassung durch die Mitarbeit als Pianist sowohl in einem Berliner Studio für künstlerischen Ausdruckstanz als auch mit namhaften Tanzsolistinnen wie Oda Schottmüller und Mary Wigman.

Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges, den er in der Strafdivision 999 überlebte, fand Schwaen in Berlin vielfältige Aufgaben beim Aufbau von Volksmusikschulen und als Musikreferent der Deutschen Volksbühne. Dadurch fühlte er sich auch als Komponist gefordert, Zeichen zu setzen durch neue, beispielgebende Werke besonders für die junge Generation.

Seit 1953 freischaffend tätig, wurde die Kammermusik zu einem wesentlichen Bestandteil seines kompositorischen Schaffens, deren Haltung sich auch in seinen Orchesterwerken und in den Opern nachweisen lässt.

Große Bedeutung für seinen künstlerischen Reifeprozeß gewann die

mit Bertolt Brecht und seinen ästhetischen Ansichten über das Theater. Die auf Wunsch des Dichters entstandene Komposition zu dem Lehrstück Die Horatier und die Kuriatier erschloss Schwaen ein neues wichtiges Arbeitsgebiet (Szenische Kindermusik) und führte zu einem bemerkenswerten Werk für das Musiktheater.

Schwaen übernahm viele ehrenamtliche Verpflichtungen, u.a. im Verband der Komponisten und Musikwissenschaftler und in der Akademie der Künste, zu dessen Ordentlichem Mitglied er 1961 berufen wurde. Sein siebeneinhalb Jahrzehnte umspannendes Schaffen zählt bis heute weit über 600 Werke aller Genres, vom Lied und Song über Chor-, Klavier-, Kammermusik und Orchesterwerken bis zur Oper und zum Ballett.

Wolfgang Hanke

Siehe: Schriften Autobiographie: Stufen und Intervalle - ein Komponist zwischen Gesellschafts- und Notensystemen


Kurt Schwaen - Ein Porträt

Der Komponist Kurt Schwaen geht in diesen Tagen in sein 93. Lebensjahr, und der Gast erlebt einen Mann voller Pläne und Unternehmungslust, beweglichen Geistes und von berührender Freundlichkeit. Er lebt, als sei die Zeit knapp. Es gibt zu tun. Und das ist keine Attitüde der späten Jahre: so war er wohl immer. Insofern prägt ihn auch eine gewisse produktive Ungeduld. Er weigert sich, Langeweile hinzunehmen; wenn er sie durch eigene Offensive nicht beseitigen kann, zieht er sich in sich zurück. Nichts hasst er mehr als sinnlose Vergeudung von Zeit, den modernen small talk, dieses Plaudern und Plappern um nichts. Etwas anderes ist es mit spielerischem Nonsens, da ist er munter dabei.

In den Augen sieht man die Spottlust blitzen, in den Mundwinkeln nistet Skepsis. Aber er zeigt in Gesprächen weder Bitterkeit noch gar Zynismus, obwohl der Lauf seines Jahrhunderts ihm Anlass genug gegeben hätte. Ihn schützt etwas, was man bei ihm lange nicht vermutet, eine fröhliche Naivität. Dabei weiß man, dass ohne sie Kunst gar nicht denkbar ist. Doch Schwaen ist ein so geistvoller Aphoristiker, ein so brillanter Gesprächspartner, den die Bonmots wie Bienen umfliegen, dass man hinter all diesem die melancholische Tiefe seines Humors nicht leicht gewahrt. Wenn er aus seinem Leben erzählt, dann begreift man sehr schnell, dass sich das Glück besonders an die lebensvertrauende Naivität heftet. Denn wie Schwaen illegale Arbeit, Zuchthaus und Strafbataillon, herumgeschickt in halb Europa, nahezu unbeschadet überstanden hat, das streift das Wunderbare (einen Gott anzurufen, das ist Schwaen fremd). Sein Resümee nach Vollendung dieses so unvollendeten Jahrhunderts: Er hat sich seine großen Hoffnungen, seine durch die Zeit mit Schmerzen getragene Utopie niemals abnehmen lassen. Auf jeder Podiumsdiskussion bekennt er sich als Kommunist, und das sagt kein Träumer von Träumen, sondern ein scharf beobachtender wacher Realist mit einem ausgeprägten Sinn für Solidarität.

Aber Schwaen ist Komponist, und er äußert schon mal zur Begründung salopp und ironisch: ich kann nichts anderes. Wie jeder Künstler breitet er in seinen Kompositionen einen Kosmos aus, und der seine ist von nahezu unausschöpfbarem Reichtum. Sein Kennzeichen ist die schnörkellose Knappheit: "Was du nicht mit drei Tönen sagst, das sagst du auch nicht mit hundert" steht als Motto über seiner Homepage. 1992 komponierte er ein Klavierwerk von über zehn Minuten Länge, für Schwaen ganz und gar ungewöhnlich. Er war selbst erstaunt. Es gehört ganz gewiss zum Besten, was er in seinem langen Leben geschrieben hat: das "Nocturne lugubre". Ein dunkles, sehr tastend nachdenkliches Stück, etwas von tropfendem Mondlicht ist darin, von Blues, von unstillbarer Trauer, und doch ist sein stetig wandernder Fortgang nicht ohne Hoffnung, nein, wenn es verklingt, schwingt ein Schweigen lange noch im Raum, in dem man sich lebendig weiß.

Axel Bertram (2001)

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